Nicht selten gibt es im betrieblichen Alltag Fälle, in denen ein erkrankter Arbeitnehmer vor Ablauf der Krankschreibung - also vorzeitig - seine Arbeit wieder aufnehmen möchte. Dies ist z. B. möglich, weil er schneller als in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung prognostiziert wieder gesundet ist oder aber weil der Grund seiner Krankschreibung seine Tätigkeit nicht beeinträchtigt.

Oftmals wird der Arbeitgeber aufgrund der weit verbreiteten, irrigen Meinung, dass dann der Versicherungsschutz bei einem erneuten Rückfall entfalle, die vorzeitige Arbeitsaufnahme verweigern. Stattdessen wird der Arbeitnehmer aufgefordert, bei vorzeitiger Arbeitsaufnahme zum Arzt zu gehen und sich „Gesundschreiben zu lassen“.

Fakt ist jedoch, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beinhaltet kein Arbeitsverbot! Vielmehr bescheinigt der Arzt nur die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit, ohne dass dieser Zeitraum ausgeschöpft werden muss.

Wenn nun der Arbeitnehmer die Arbeit vorzeitig wieder aufnimmt, hat dies versicherungsrechtlich keine nachteiligen Auswirkungen. Auch im Falle einer daraufhin eintretenden Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes bleibt der Versicherungsschutz sowohl in der Kranken- als auch in der Unfallversicherung erhalten. Jedoch ist der Arbeitnehmer für die gesamte Dauer der Krankschreibung berechtigt, der Arbeit fernzubleiben. Eine vorzeitige Arbeitsaufnahme setzt immer die Freiwilligkeit und das Einverständnis des Mitarbeiters voraus.

Leider beraten die Kranken- und Unfallversicherungen Ihre Mitglieder in diesem Punkt oftmals falsch. So darf nach Auskunft vieler Versicherungen ein krankgeschriebener Mitarbeiter nur bei Vorlage einer „Gesundschreibung“ vorzeitig seine Arbeit wieder aufnehmen, da sonst der Versicherungsschutz entfalle. Um rechtliche Klarheit zu dieser Thematik zu erlangen, hat die Vereinigung Trierer Unternehmer (VTU) daher vor einiger Zeit einer Berufsgenossenschaft und einer gesetzlichen Krankenkasse folgende Frage gestellt: „Welches Risiko kommt auf einen Arbeitnehmer zu, der offiziell arbeitsunfähig krank geschrieben ist, sich aber zumindest teilweise wieder arbeitsfähig fühlt und partiell in den Betrieb zum Arbeiten kommt?“ Die Antwort der Berufsgenossenschaft auf diese Frage war, dass aus unfallversicherungsrechtlicher Sicht keine Risiken gesehen werden (Maschinen- und Metallberufsgenossenschaft, Düsseldorf, 9.7.1993).

Auch die Krankenkasse hat bestätigt, dass keine krankenversicherungsrechtlichen Nachteile zu befürchten seien, wenn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer - im Einvernehmen mit seinem Arbeitgeber - im Rahmen des Zumutbaren seine Arbeitstätigkeit ausübt (AOK Trier-Saarburg, 13.9.1993). An dieser Rechtslage hat sich bis heute nichts geändert.

Aber auch wenn keine versicherungsrechtlichen Nachteile zu befürchten sind, ist der Arbeitgeber dennoch aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten, für den Erhalt der Gesundheit seiner Mitarbeiter Sorge zu tragen. Aus diesem Grund sollte er jeweils prüfen, ob der Arbeitnehmer, der vorzeitig trotz Krankschreibung seine Arbeit aufnimmt, tatsächlich den Eindruck macht, wieder einsatzfähig zu sein.
Ist dies jedoch der Fall, kann er sofort wieder beschäftigt werden.

Dieser Artikel von Rechtsanwältin Meyer-Bochmann ist in der Frankfurter Allgemeine Zeitung publiziert worden. Ausgabe vom 10. September 2005, Nr. 211, Seite 59, Abteilung Beruf & Chance, Rubrik „Zur Sache“