Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigender Irrtum gegeben ist, wenn der mit Belastungen oder Beschränkungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren.
Der Bundesgerichtshof hatte am 29.06.2016 unter dem Aktenzeichen IV ZR 387/15 über folgenden Fall zu entscheiden:
Die Erblasserin hatte 4 Kinder, von denen 2 vorverstorben waren. Von einem Kind hatte die Erblasserin Enkelkinder. Die Erblasserin hinterließ mehrere Testamente und berief unter anderem ihre Tochter zur Miterbin zu ¼ und setzte zugunsten der Enkelkinder ein Vorausvermächtnis hinsichtlich einer Nachlassimmobilie aus. In einem späteren Testament belastete die Erblasserin die auf diese Weise vorausvermachte Immobilie mit einem Untervermächtnis zugunsten ihrer Tochter in Höhe von 15.000,00 €, ein Enkel wurde zum Testamentsvollstrecker eingesetzt.
Nach Kenntnis von den letztwilligen Verfügungen verstrich die Ausschlagungsfrist für die Tochter, die anschließend die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist erklärte und zugleich die Ausschlagung der Erbschaft geltend machte. Die Tochter begründete die Anfechtung damit, dass sie in Wirklichkeit die Erbschaft gar nicht annehmen wollte, sondern die Ausschlagungsfrist versäumte, da sie dachte, dass sie im Falle einer Erbausschlagung vollständig vom Nachlass ausgeschlossen wäre, sowohl hinsichtlich der Pflichtteilsansprüche als auch hinsichtlich des ihr eingeräumten Untervermächtnisses.
Das Landgericht gab der Klage der Tochter statt, der Berufung der Beklagten versagte das Oberlandesgericht den Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr das Berufungsurteil aufgewiesen und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass das Berufungsgericht fälschlicherweise das Vorliegen eines rechtserheblichen Irrtums zugunsten der die Erbausschlagung anfechtenden Tochter der Erblasserin verneinte. Der Anfechtungsgrund ergebe sich aus § 119 Abs. 1 BGB in Form des Inhaltsirrtums. Irre sich der Erklärende, so der Bundesgerichtshof, über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern auch solche, die sich davon unterscheiden, liege nach dem BGH ein rechtserheblicher Irrtum vor. Dieser berechtige dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt.
Die Tochter der Erblasserin ging irrig davon aus, im Fall der Ausschlagung keinerlei Teilhabe am Nachlass der Erblasserin, insbesondere auch keinen Pflichtteilsanspruch, zu haben. Sie habe lediglich gedacht, aufgrund der Nichtausschlagung zumindest das bezifferte Untervermächtnis zu erhalten, was einen beachtlichen Inhaltsirrtum darstellt, der zur Anfechtung der Annahmeerklärung berechtige. Der Bundesgerichtshof hat damit seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die irrige Vorstellung des unter Beschwerungen als Erbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, zur Anfechtung berechtigt. Hintergrund ist, dass der Erbe nunmehr gem. § 2306 Abs. 1 BGB in der Fassung, die seit 01.01.2010 gilt, nunmehr in jedem Fall seinen Erbteil ausschlagen muss, wenn dieser beschwert ist, wenn der Erbe seinen Pflichtteil verlangen möchte. Der Regelungsgehalt dieser Norm steht im Gegensatz zu dem sonst allgemeingültigen Grundsatz, dass die Erbschaftsausschlagung zum Verlust jeglicher Beteiligung am Nachlass führt.
Für die Praxis bedeutet dies, dass der Erbe, der im Falle der Nichterbschaft pflichtteilsberechtigt wäre und der beispielsweise durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt oder mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist, die Erbschaft ausschlagen muss, um seinen Pflichtteil verlangen zu können. Schlägt der Erbe die Erbschaft nicht aus, übernimmt er seinen Erbanteil und hat alle darauf ruhenden Beschränkungen und Belastungen, die der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung angeordnet hat, zu bedienen. Nunmehr öffnet der Bundesgerichtshof allerdings im Rückgriff auf seine bisherige Rechtsprechung die Tür, um eine Irrtumsanfechtung über die Erbschaftsannahme noch ermöglichen zu können.