Bestimmt der Erblasser die zweite Ehefrau zur Erbin und verfügt zugleich, dass nach deren Ableben sein Besitz an ein eigenes Kind und ein Kind der Ehefrau fließen soll, liegt eine nicht befreite Vorerbschaft vor. Der Wunsch, dass die zweite Ehefrau „noch lange leben möchte“, führt nicht zur befreiten Vorerbstellung der Witwe.

Der vom OLG München mit Beschluss vom 09.01.2019 entschiedene Fall gestaltete sich wie folgt:
Der Erblasser hatte aus geschiedener, erster Ehe zwei Kinder und heiratete erneut. Die zweite Ehefrau brachte einen Sohn mit in die Ehe. Der Erblasser bestimmte in seinem Testament seine Ehefrau als Alleinerbin und verfügte, dass nach deren „hoffentlich spätem Ableben“ sein Besitz an eines seiner Kinder und das Kind der Ehefrau übergehen soll. Die Witwe erhielt nach dem Tod des Erblassers einen Erbschein, der sie als befreite Vorerbin auswies. Die Tochter des Erblassers legte dagegen Beschwerde ein, welche das Nachlassgericht als Anregung auf Einziehung des Erbscheins behandelte. Das Gericht zog den Erbschein nicht ein, die hiergegen gerichtete Beschwerde war hingegen erfolgreich.

Das entscheidende OLG München war nicht davon überzeugt, dass die Vorerbschaft als befreite angeordnet ist. Grundsätzlich ist der Vorerbe in seiner Verfügungsgewalt über den Nachlass beschränkt. Eine Vorerbschaft wird nur dann zu einer befreiten, wenn der Erblasser dies ausdrücklich angeordnet hat oder die Befreiung mittels Auslegung ermittelt werden kann.

Ein dahingehender Wille des Erblassers war dem hier vorliegenden Testament nicht zu entnehmen. Die bloße Bezeichnung der Ehefrau als „Alleinerbin“ lässt an sich noch nicht den Schluss auf eine Befreiung zu. Es ist zwar anerkannt, dass eine stillschweigende Befreiung des Vorerben angenommen werden kann, wenn der Erblasser wegen Fehlens eigener Abkömmlinge entferntere Verwandte zu Nacherben einsetzt und der Vorerbe wesentlich zum Vermögenserwerb des Erblassers beigetragen hat. Eine solche Konstellation lag jedoch nicht vor, da der Verstorbene seine leibliche Tochter ebenfalls bedachte.
Die Auslegung ergab, dass der Wunsch des Erblassers, seine Ehefrau möge ein „langes Leben“ haben, nicht den Schluss rechtfertige, der zweiten Ehefrau soll eine starke Stellung eingeräumt werden, weshalb sie von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit werden solle. In diesem Wunsch sei weder ein Indiz für eine Befreiung noch für eine Nichtbefreiung der Vorerbschaft zu erkennen. Vielmehr werde lediglich eine rechtlich neutrale Äußerung getätigt, so dass das OLG München den erteilten Erbschein eingezogen hat, nachdem die Befreiung der Vorerbin vom Nachlass zu Unrecht angeordnet wurde.

Der Fall zeigt erneut, dass häufig auch notariell gefertigte letztwillige Verfügungen ausgelegt werden müssen, wenn die Regelungen nicht klar und eindeutig geäußert werden. Dementsprechend empfiehlt es sich erneut, in einer letztwilligen Verfügung, d.h. im Testament oder im Erbvertrag klare und unmissverständliche Regelungen im Hinblick auf seinen Nachlass zu treffen.