Mit Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21 - hat der Bundesgerichtshof zu der kontrovers diskutierten Frage entschieden, ob und in welcher Höhe bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen während des coronabedingten ersten Lockdowns Mietzahlungen zu entrichten sind. Sowohl im Schrifttum als auch unter den Instanzgerichten war die Frage bisher umstritten. Einer pauschalen Anpassung der Miete hat der BGH nun einen Riegel vorgeschoben.
Der Entscheidung liegt eine Klage eines Chemnitzer Textilhändlers zugrunde, welcher während der pandemiebedingten Filialschließung im April 2020 keine Miete zahlen wollte.
Die Vorinstanzen hatten in dieser Frage unterschiedlich entschieden. Während das Landgericht Chemnitz in erster Instanz urteilte, dass die Miete trotz Schließung der Filiale in voller Höhe zu zahlen sei, hob das Oberlandesgericht Dresden dieses Urteil auf und entschied stattdessen, dass nur die Hälfte der vereinbarten Miete zu entrichten sei.
Der Bundesgerichtshof hat nun zunächst klargestellt, dass eine Allgemeinverfügung, welche die pandemiebedingte Schließung von Geschäftsräumen anordnet, nichts an der Beschaffenheit der Mietsache an sich ändert und somit auch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands nach § 536 Abs. 1 S. 1 BGB führt. Wäre dies der Fall, würde sich die zu entrichtende Miete automatisch mindern.
Im Betracht kommt nach BGH jedoch eine Anpassung des Vertrages nach den sogenannten Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB.
Voraussetzungen für eine Anpassung eines Vertrages nach § 313 BGB sind nachträgliche Änderungen der Vertragsumstände, welche, wenn sie den Parteien vor Vertragsschluss bekannt gewesen wären, dazu geführt hätten, dass die Vertragspartner den Vertrag nicht oder nicht mit dem gleichen Inhalt geschlossen hätten. Diese Umstände dürfen sich nicht aus der Sphäre der Partei, – also hier des Gewerberaummieters – die sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage beruft, ergeben.
Schließlich müssen die Umstände so schwerwiegend sein, dass nach einer Abwägung aller Umstände und unter Berücksichtigung des Einzelfalls, insbesondere der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung, einer Partei ein Festhalten am ursprünglichen Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Das Oberlandesgericht Chemnitz hatte im Rahmen dieser Abwägung argumentiert, dass das Risiko einer Pandemie bedingten Schließung von Geschäftsräumen keiner der Parteien zuzuschreiben sei und der Mietvertrag dahingehend angepasst werden müsse, dass für den Zeitraum der Schließung nur eine hälftige Miete zu zahlen sei. Es sei angemessen, die mit der Schließung verbundene Belastungen gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen.
Dieser pauschalen Bewertung hat der BGH nun eine Absage erteilt. Zwar handelt es sich bei den Geschäftsschließungen des Lockdowns um eine schwerwiegende Störung der sogenannten großen Geschäftsgrundlage, also dem Vertrauen der Vertragsparteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrages nicht ändern, dies führe aber nicht automatisch zu einer Vertragsanpassung.
Vielmehr müsse für jeden Einzelfall entschieden werden, inwieweit den Parteien das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann.
Hierbei sind die wirtschaftlichen Nachteile eines Mieters im konkreten Fall, die Dauer der Schließungen, die Maßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um etwaige Verluste zu mindern sowie gezahlte staatliche Leistungen und die Inanspruchnahme von einstandspflichtigen Versicherungen zu berücksichtigen. Abzustellen sei bei der Bewertung der schließungsbedingten Auswirkungen zudem auf die konkrete Filiale und nicht auf das gesamte betroffene Unternehmen.
Fazit:
Die Instanzgerichte werden nun unter Berücksichtigung der vom BGH dargelegten Kriterien jeweils im Einzelfall prüfen müssen, ob und inwieweit die wirtschaftlichen Auswirkungen der Geschäftsschließungen eine Anpassung des Vertrages im konkreten Fall erforderlich machten. Eine Pauschale Mietminderung um 50 % wird hingegen nicht mehr möglich sein.